Ausführlicher Bericht zum Gefahrstoffunfall in Osterode am Harz
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(Osterode, TR) Am Montag, 28. April 2014, 12.29 Uhr wurden die Ortsfeuerwehr Osterode am Harz (Schwerpunktfeuerwehr), die Messschleife Nord des Gefahrgutzuges der Kreisfeuerwehrbereitschaft Osterode am Harz und der Rettungsdienst mit einem RTW alarmiert. Auf dem Grundstück eines Unternehmens angrenzend an ein Wohngebiet sei ein Container auf Grund einer chemischen Reaktion in Brand geraten. Schon auf der Anfahrt zum Einsatzort ließ die ELW1-Besatzung wegen der heftigen Rauchentwicklung die Ortsfeuerwehren Lasfelde (Stützpunktfeuerwehr) und Freiheit (Ortsfeuerwehr mit Grundausstattung) alarmieren, außerdem wurde nachträglich Sirenenalarm für die Schwerpunktfeuerwehr Osterode ausgelöst. Die Ersterkundung der TLF-Besatzung ergab, dass kein Feuer vorliegt und die enorme Rauchentwicklung auf eine chemische Reaktion in einem Abfallsonderbehälter (ASB800) zurückzuführen ist. Alle Mitarbeiter haben bereits das Betriebsgelände verlassen, weitere Personen im unmittelbaren Gefahrenbereich sind nicht betroffen. Es wurde Vollalarm für den gesamten Gefahrgutzug ausgelöst und der Rettungsdienst durch die örtlich zuständige SEG plus OrgL- und LNA-Gruppe verstärkt. Die Polizei sperrte das Gebiet für den Verkehr weiträumig ab. Zur Wetterlage: Es war heiter, nahezu windstill (Windstärke 1 aus süd-ost), Temperaturen um ca. 15°C. Der Gefahrenschwerpunkt stellte zunächst die Ausbreitung der Rauchentwicklung dar. Der Zugführer des Gefahrgutzugs ist Mitglied der Ortsfeuerwehr Osterode am Harz und traf kurz nach dem ELW1 an der Einsatzstelle ein. Er übernahm den Einsatzabschnitt der inneren Absperrgrenze, ein weiterer Zugführer der Ortsfeuerwehr Osterode übernahm den äußeren Bereich und sorgte für die Sicherstellung des Brandschutzes und das Einrichten einer Atemschutzsammelstelle. Die Einsatzleitung hatte der Ortsbrandmeister der Ortsfeuerwehr Osterode, vor Ort waren auch der Stadtbrandmeister der Stadt Osterode sowie der Kreisbrandmeister des Landkreises Osterode.
Der Betriebsleiter des Unternehmens stellte sich unmittelbar für Auskünfte zur Verfügung. Es konnte somit schnell festgestellt werden, dass die Ursache der Reaktion im irrtümlichen Vermischen zweier Stoffe liegt, die in Verbindung eine heftige Reaktion zeigen. Auch die Stoffdatenblätter der beteiligten Stoffe lagen der Einsatzleitung in Kürze vor. Es handelt sich demnach um einen oxidierenden Stoff, der einer lösungsmittelhaltigen Farbe zugemischt wurde. Die Menge und das Mischungsverhältnis waren jedoch nicht bekannt. Da die Farbe in einem ortsansässigen Unternehmen hergestellt wird, forderte der Einsatzleiter einen Fachberater dieses Unternehmens an die Einsatzstelle an. Ein weiterer Fachberater Chemie eines chemieverarbeitenden Betriebes wurde ebenfalls angefordert, zuständige Behörden wie untere Wasserbehörde sowie die Stadt Osterode als Ordnungsbehörde wurden informiert. Erste Erkenntnisse der Durchsicht der Stoffdatenblätter ließen ein Freiwerden von Chlor und Brom erkennen, woraufhin als Erstmaßnahme Warnungen der Bevölkerung durch Rundfunk- und Lautsprecherdurchsagen angewiesen wurden. Wegen erhöhtem Aufkommen an Anrufen aus der Bevölkerung in der FEL wurde von der Stadt Osterode ein Bürgertelefon eingerichtet.
Nach Eintreffen der Kräfte des Gefahrgutzuges wurden zunächst Messungen direkt am Behälter unter CSA vorgenommen. Der Behälter selbst war nicht fest verschlossen, so dass sich der aus der Reaktion bildende Überdruck nach außen entspannen konnte. Die Messungen bestätigten das Freiwerden von Chlor und Brom. Zum Schutz der Einsatzkräfte wurden Dämpfe mit Wassernebel niedergeschlagen, zur Absperrgrenze hin wurde ein Hydroschild in Stellung gebracht. Parallel dazu wurden Umfeldmessungen in nord-/nord-westlicher Richtung im Wohngebiet der Stadt durchgeführt, zur Unterstützung wurde hierzu auch ein „ABC-Erkunder“ (ABC-ErkKW) aus Göttingen angefordert. Bei sämtlichen über den Nachmittag hinweg durchgeführten Messungen konnten keine messbaren oder gefährlichen Luftverunreinigungen festgestellt werden, vorsorglich wurde die Warnung der Bevölkerung jedoch bis in den Abend hinein aufrechterhalten. Allerdings wurde der ETW-Wert (Einsatztoleranzwert) von Brom an der inneren Absperrgrenze überschritten, woraufhin diese Absperrung auf rund 150m vom Schadensobjekt zurückgezogen wurde.
Rückfragen bei TUIS ergaben, dass die aus den Stoffdatenblättern ersichtlichen Stoffe weiterhin frei werden würden, über die Dauer der Freisetzung konnten jedoch wegen dem nicht bekannten Mischungsverhältnis keine Aussagen gemacht werden. Eine bereits erkennbare Erwärmung des ASB800 mittels Wärmebildkamera wurde auch durch TUIS bestätigt und eine Selbstentzündung nicht ausgeschlossen. Obwohl das Stoffgemisch mit Wasser reagieren wird, empfahl TUIS eine Kühlung mit Wasser aus der Entfernung heraus, als Löschmittel kann Pulver oder CO2 verwendet werden. Trotz Kühlung aus einem Wasserwerfer zündete das Gemisch gegen 16:00 Uhr durch. Die Flammen konnten zwar mit Pulver erstickt werden, allerdings brannte der Inhalt von nun an bei gleichbleibenden Temperaturen von ca. 800 °C und Glutbildung weiter. Ständige Kontrollen der Temperatur wurden von nun an durchgeführt. Da im weiteren Einsatzverlauf vorrangig CSA-Träger zur Kontrolle des Behälters benötigt werden und diese vom Gefahrgutzug und der Ortsfeuerwehr Osterode gestellt werden können, wurden die Kräfte aus Lasfelde und Freiheit aus dem Einsatz entlassen. Somit würden notfalls zu späterem Zeitpunkt frische Träger zur Verfügung stehen.
Gegen 21:00 Uhr wurden keine Chlor- und Brom-Anteile mehr im direkten Rauch gemessen. Nach erneuter Rücksprache mit TUIS und dem Fachberater Chemie vor Ort sollte der Container von nun an kontrolliert ausbrennen. CSA sind nicht weiter erforderlich, ein einfacher Einmal-Schutzanzug ist ausreichend. Daraufhin wurde auch der Gefahrgutzug aus dem Einsatz entlassen, die Warnhinweise über Rundfunk und Lautsprecher wurden eingestellt. Das THW Osterode wurde für die weiträumige Ausleuchtung der Einsatzstelle angefordert.
Am Abend wurden bis auf die Führungskomponente der Ortsfeuerwehr Osterode Mannschaft und Fahrzeuge durch erneute Alarmierung der Ortsfeuerwehr Freiheit ausgetauscht. In stündlichen Abständen wurde die Temperatur im Container weiterhin gemessen, die sich im Verlauf der Nacht verringerte und schließlich auf ca. 80°C stabilisierte. Dazu ging die Rauchbildung bis auf ein Minimum zurück. Um die bestehende Temperatur weiterhin abzukühlen und restliche Flammen und Glutnester zu ersticken wurden am frühen Morgen 360 kg Kohlendioxid als Löschmittel von der Werkfeuerwehr Kamax in Osterode an die Einsatzstelle verbracht. Zusätzlich wurden noch einmal die Einsatzkräfte aus Freiheit ausgetauscht, die Ortsfeuerwehren Lasfelde und Osterode wurden erneut alarmiert.
Am Dienstagmorgen wurde ein Löschversuch mit Kohlendioxid unternommen und weiterhin die Temperatur in stündlichen Abständen gemessen. Der Löschversuch war erfolgreich, die Temperatur ging zurück, stieg im Verlauf des Vormittags allerdings wieder an und stabilisierte sich erneut. Auf Grund des gemessenen Temperaturprofils über der Zeit und der Einschätzung des Fachberaters Chemie konnte eine weitere Reaktion nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Daher die Entscheidung der Gefahrenabwehrbehörde in Abstimmung mit der Abfall- und unteren Wasserbehörde, den Container zur Kreismülldeponie nach Hattorf zu bringen, um Gefahren für die Bevölkerung auszuschließen. Dazu wurden am Nachmittag des 29. Aprils erneut frische Einsatzkräfte aus Lasfelde angefordert, die den Container vor Antritt der Fahrt noch einmal mit Kohlendioxid kühlen sollten. Eine Spezialfirma transportierte diesen dann in Begleitung von Feuerwehrfahrzeugen auf die Kreismülldeponie. Zur Sicherheit wurde auch während des Transports noch einmal Kohlendioxid in ausreichender Menge vorgehalten. Ein Spezialunternehmen sollte zu späterem Zeitpunkt die Entsorgung übernehmen.
Im Einsatz waren die Feuerwehren aus Osterode am Harz und den Ortschaften Freiheit und Lasfelde sowie der Gefahrgutzug des Landkreises Osterode am Harz mit bis zu 110 Einsatzkräften. Ferner die Polizei und Rettungsdienste mit ca. 30 Einsatzkräften und das THW Osterode. Auch das Gewerbeaufsichtsamt, der Landkreis Osterode am Harz als Untere Wasserbehörde sowie die Stadt als Ordnungsbehörde waren vor Ort vertreten. Der Einsatz der Feuerwehr endete am 29. April gegen 19:30 Uhr nach insgesamt über 30 Stunden.
Im Nachgang wurden weitere Untersuchungen sowie Probenahmen durch den Landkreis Osterode am Harz angeordnet, die von einem Sachverständigen durchgeführt wurden. Die Auswertungen ergaben jedoch keine Belastung über den durchschnittlichen und zugelassenen Grenzwerten.